Hui! Mit dieser Aufgabe…

…tue ich mich wirklich schwer: für drei Altersklassen drei literarische Werke in Lyrik, Drama, Prosa auswählen. Da hilft auch die Lektüre von Korte nicht viel, was Wunder, er stellt ja selber fest, dass es keinen Kanon mehr gibt, wo man quasi ohne Nachdenken hineingreifen kann.

Es stellen sich wirklich sehr viele Fragen. Goethe? Fontane? Keller? Was ist zumutbar? Und was könnte sogar Schaden anrichten? Welche Werke sind für welche Altersklassen geeignet? Welche literarischen Gattungen und Untergattungen müssen berücksichtigt werden? Und wo bleiben die Frauen? Wo Trouvaillen und Überraschungen? Wo die Schweizer Autor*innen (der ist für Philippe 😉 ). Thomas Mann? Ödön von Horvath? Stefan Zweig? Annemarie Schwarzenbach? Muss ich alle lyrischen Formen durchdeklinieren? Und alle Prosaformen? Walther von der Vogelweide? Celan muss sein! Oder doch nicht? E. T. A. Hoffmann? Eichendorff? Schiller? («der Moraltrompeter von Säckingen», spottete Nietzsche.) Joseph Roth muss sein. Und Thomas Bernhard? Frisch und Dürrenmatt müssen sein. Und Markus Werner? Aglaja Veteranyi? Melinda Nadj Abonji? Büchner muss sein. Und Kleist? Rilke? Trakl? Musil? Sven Regener? Wolfgang Herrndorf? Milo Rau? Undundund. Es ist uferlos. (Am liebsten würde ich mich auch in anderssprachigen Literaturen tummeln, aber das geht ja leider nicht).

Ich merke, dass ich mich mit vermeintlichen und anderen Kanons gar nicht befassen mag. Mir gefällt dagegen, wie deugst argumentiert: Er versucht, «literarische Texte als besonders verdichtete Herangehensweise an ein Thema zu erarbeiten, das in einem breiteren Diskursfeld behandelt wird (Zukunft, Romantik, Hass etc.)». Das Exemplarische und Verdichtete möchte ich mit literarischen Texten auch vermitteln, aber auch das Existenziell-Zwingende und das sprachlich Herausragende. Und dazu sollen die Lektüren wenn immer möglich Lust auf mehr wecken – oder wenigstens nicht «abturnen». Und sie sollen wenn immer möglich unterhalten (geht aber nicht immer, Literatur ist kein Ponyhof). Und ja – jetzt kommt ein Rest des Kanons durch die Hintertüre wieder rein: Es gibt ein paar Namen, die sollte man minimal kennen, wenn man die Matura in der Tasche hat: Goethe, Schiller, Keller, Thomas Mann, Kafka, Frisch, Dürrenmatt. Und ein paar Formen: Sonett, Ballade, Novelle, Roman, Fragment, dokumentarisches Theater.

Gut, wage ich also einen Versuch:

Für eine erste Klasse eines Langzeitgymnasiums würde ich Texte auswählen, die nicht zu schwierig sind (vielleicht ist schon diese Annahme falsch) und die Lust am Text nicht verderben. Prosa: «Tschick» von Wolfgang Herrndorf. Lyrik: Gedichte von Robert Gernhardt. Drama: «Besuch der alten Dame» von Dürrenmatt. 

Für diese Klasse, wenn sie im dritten Jahr am Gymnasium ist, würde ich weiter auswählen: «Die Leiden des jungen Werther» von Goethe (Prosa), «Woyzeck» von Büchner (Drama), Gedichte von Ingeborg Bachmann und von Heine.

Wenn die Klasse vor der Matura wäre, würde ich Folgendes auswählen: «Montauk» von Frisch und «Die Verwandlung» von Kafka (Prosa), Gedichte von Rilke/Trakl/Celan, Stücke von Peter Weiss, Milo Rau und Yasmina Reza («Der Gott des Gemetzels» – Originalsprache ist Französisch, aber ich würde es trotzdem nehmen).

Ja, und jetzt fehlen mir Thomas Mann, Schiller und Gottfried Keller, von denen ich doch gerade vorher behauptet habe, dass sie die gebüldete Maturandin minimal kennen sollte.  Es ist uferlos. Aber vielleicht habe ich die Aufgabe falsch interpretiert. Nur weil ich jetzt Texte für drei Alterstufen festgelegt habe, heisst das ja nicht, dass auf alles andere verzichtet werden muss.

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